Hatha Yoga zwischen Leibverneinung und Körperkult

In der westlichen wie der östlichen Welt wurden Körperlichkeit und Spiritualität über Jahrhunderte streng getrennt. Der Körper wurde als unrein und wertlos erachtet. Dies ging in den verschiedensten Traditionen sogar soweit, dass strikte Enthaltsamkeit gelebt werden musste. Auch seriöse Suchende benutzen überaus fordernde Askesetechniken, um den Körper aufzulösen, so dass er dem Geist auf dem Weg zur Erkenntnis nicht mehr im Weg stand. Vor allem die fünf Klesas - Avidya, Asmita, Raga, Dvesa und Abhinivesa - wollte man damit überwinden.

Dem diametralen gegenüber steht wie die Menschen heutzutage, die ja meist nicht auf Erkenntnissuche sind, ihren Körper betrachten. Ein großer Teil der heutigen Menschen gibt sich hemmungslos den weltlichen Genüssen hinzugeben, isst zu viel, bewegt sich zu wenig und betrachtet den Körper als reine Maschine, die zu funktionieren hat, und um die man sich nur kümmert, wenn er richtig weh tut oder man krank ist. Der andere Teil ist einem Körperfetischismus verfallen, der an Religion grenzt. Er wiegt jedes Gramm, das er isst, plagt den Körper bis und auch über die Belastungsgrenzen mit Sport, Schönheitsoperationen und tausenderlei Verschönerungsaktionen. Um keinen Preis altern, immer frisch, vital und gesund ist das Motto. Oft verbunden mit dem Gefühl, dass irgendetwas noch fehlt, nur was?

Über die körperliche Schiene, seien es Krankheiten oder Sportbegeisterung, kommen sehr viele Menschen zum Hatha Yoga. Was ja für den Anfang auch ok ist, denn der Hatha Yoga bezieht den Körper in den Erkenntnisprozess mit ein, und der Yogaweg kann gut von hier aus gestartet werden. „Hatha“ bedeutet Gewalt, Zwang Notwendigkeit und weist damit auf einen anstrengenden, energetischen Yogaweg hin, der den Körper miteinbezieht.

Der Hatha Yoga wird auch Kāyasādhana“ genannt. Dies kommt von kaya = Körper, sad = Erfolg und sadhana = Übungsweg, impliziert also schon eine positive Einstellung zum Körper und dass man Erfolg haben wird. In der GhS wird der Körper in I.8 als "Ghatasuddhi" bezeichnet und so mit einem ungebrannten Tongefäß verglichen, das man im Feuer des Yogas härten muss. Der Körper ist somit ein vollendetes Werkzeug, um Selbstverwirklichung zu erlangen.

Eine liebevolle Ausrichtung auf den Körper ist dabei essentiell. Wenn wir statisch, entspannt und auf die Weite ausgerichtet Āsanas und Prāðāyāma üben, werden wir Gesundheit (Arogyam), Stetigkeit (Stairyam), Kräftigung (Drhata) und Leichtigkeit (Angelaghavam) erreichen. Wobei dies immer nur Nebenprodukte der Praxis sind. Das Ziel bleibt, dass das Sattva Guna vorherrschend wird und man über den Körper auf den Geist einwirken, um leichter zur Selbstverwirklichung zu gelangen. Es ist zunächst einfacher auf den Körper einzuwirken als auf den Geist. Damit wird der Körper das ideale Werkzeug, um Qualitäten einzuüben, die auch für die feinstofflicheren Aspekte des Yogas wesentlich sind. Gelangen wir zur liebevollen Meisterschaft über den Körper, gelangen wir auch zur Meisterschaft über den Geist.

Je gesünder der Körper ist, desto besser können wir uns auf die feineren Stufen unseres Seins konzentrieren. Ein kranker Körper will uns nicht böses, sondern zeigt uns laut den Yogīs nur an, dass etwas mit uns im Ungleichgewicht ist. Vielerlei Krankheiten können durch den ganzheitlichen Ansatz des Yogas geheilt werden, auch wenn es dabei nicht mehr das Ziel - wie in der HP und GhS - ist, das Alter und den Tod zu überwinden. Größter körperlicher Augenmerk im Haþha Yoga gilt dabei der Wirbelsäule als Stützpfeiler unserer Gesundheit. Wir sollen sie beweglich und durch die umliegenden Muskeln kraftvoll eingebettet halten. Wenn zudem der Kopf genau auf der Wirbelsäule aufsitzt, trägt dies viel zu unserem psychosomatischen Wohlbefinden bei. Man könnte auch sagen, man ist so alt wie seine Wirbelsäule.

Wir brauchen diesen Körper, um uns in der materiellen Welt auszudrücken und Erfahrungen sammeln zu können, um lieben zu können und um uns selbst zu erkennen. Laut Eliade sind sogar die Götter körperlos und müssten deshalb nach dieser noch einmal als menschliche Existenz geboren werden, um Freiheit erlangen zu können. Der Körper wird dabei als perfekt betrachtet, der einem genau die Erfahrungen zu Teil werden lässt, die wir auf dem jeweiligen Stand unserer Entwicklung brauchen, um auf dem Weg zurück zu unserer ursprünglichen Wesensart zu gelangen.

Wir werden im Laufe der Praxis immer feinfühliger für die Botschaften unseres Körpers und so zeigt er uns, welche Verhaltensweisen für einen selbst förderlich sind, welche Nahrung zu einem passt, mit welchen Menschen man sich umgeben sollte, wieviel Ruhezeiten man benötigt, womit man sein Geld verdienen möchte usw. Ein freundschaftliches und dankbares Verhältnis zu seinem Körper, sich so anzunehmen wie man ist, dabei keinen Teil seines Körpers zu beschimpfen, seine Körperintelligenz und seine Lern- und Heilfähigkeit anzunehmen, Lebensfreude und Lebenskraft zu spüren, Vertrauen ins Getragensein vom Leben, die pulsierende Belebtheit, sind Erfahrungen, die wir im Yoga lernen und vertiefen können. Und somit kommen wir „vom bloßen Körpertraining zur innergeistigen und innerseelischen Umwandlung zur Persönlichkeitsreifung.“

Autor: Kirstin Hofkens  Derzeit lebt und arbeitet Kirstin in Kopenhagen und unterrichtet dort an ihrer eigenen Yogaschule. Mehr Informationen finden Sie hier: https://yoga-copenhagen.com/

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